Sebastian Schmid, Playing Artist, hat über facebook eine öffentliche Einladung verschickt, an seinem Spiel „Mut für die Fastenzeit“ 2020
teilzunehmen. Mir gefällt Sebastians Vorstellung, zu Ostern die bunten Mut-Bilder an einen Baum zu hängen, und jeder Mensch, der gerade Mut braucht, kann sich welchen pflücken. Bei dieser Aktion bin ich gerne dabei, denn:
Ist die gegenseitige Ermutigung nicht jetzt gerade das wichtigste, was wir brauchen?
Wo meine Mut-Bilder verteilt werden, gebe ich rechtzeitig bekannt.
Hier erst einmal mein Protokoll:
Nr. 1
Mut gedeiht am besten auf tragfähigem Grund. Ist der Grund aber zu fest, und mein Medium (Wachskreide) auch, kann es nicht gelingen, diesen Grund zu durchdringen. Um den Grund zu durchdringen, sollte ich entweder Wärme einsetzen und den Wachsblock weicher machen oder das Medium wechseln -wie wäre es mit Öl statt Wachs? Oder ich muss erst einmal einen anderen Malgrund wählen, also eine gute Basis finden.
Nr.2
Ich habe anderes Papier gewählt. Es ist fest, gut aufnahmefähig und hat
einen pH-Wert, der die aufgenommene Farbe nicht verändert. Die Schrift ist gut zu erkennen. Die Farben verlaufen anfangs sehr schön, doch ich habe zu viel Wasser genommen. Deshalb lege ich das Papier auf die Heizung. Leider sind nun die Abdrücke des Heizungsgitters zu sehen.
Zum Mut gehören also auch Geduld und Behutsamkeit.
Nr.3
Schon besser!
Ein paar kleine Verdichtungen sind zu sehen. Sind die nun gut oder schlecht? Ich weiß es nicht. Ihr Aussehen erinnert mich an Landschaften. Das Wort in der Mitte, der Mut, scheint etwas in Bewegung gebracht zu haben. Ich lese, dass inzwischen schon an 40 verschiedenen Orten diese Aktion geteilt wird und schaue mir die Landkarte mit den vielen Fähnchen an.
Nr.4
Das Papier habe ich, wie an allen anderen Tagen, angefeuchtet und dann zügig die Farbe darübergestrichen.
Es ist nicht so einfach, die richtige Dosierung des Wassers hinzubekommen. Einerseits ist es schön und gut, alles richtig unter Kontrolle zu haben, andererseits ist es aufregender, der Farbe zuzuschauen, wenn sie sich selbst in Bewegung setzt (mit etwas nasserem Papier). Und dann auch noch in Rot! Passt die Farbe zu Mut? Ja, Magenta schon, das erinnert an Morgenrot.
Nr.5
Heute habe ich viele Farben genommen und sie durch Heben und Schwenken des Papiers verteilt. Das Papier hatte ich auf einer Glasplatte fixiert. Die Farbe ist an der Schrift entlang und nicht darüber hinweg gelaufen. Deshalb leuchtet heute der Mut hell und klar. Es ist also vorteilhaft, Grenzen behutsam abzutasten - und zu respektieren. So kommen einzelne Facetten viel besser zur Geltung.
Nr.6
Blau passt wegen der kühlen Besonnenheit, doch Vorsicht!
Nicht zu viel Kälte heranlassen!
Denn Mut ist immer auch Herzenssache.
Nr. 7
Heute habe ich über den Hochmut nachgedacht, das ist dabei herausgekommen:
Nr.8
Die Ereignisse in Erfurt und an den europäischen Außen-grenzen färben auch meine Stimmung, meinen Alltag.
An Tagen wie diesen ist der Mut klein, doch- nein, da taucht ein Fünkchen auf und da wächst auch wieder ein kleines Mütchen- also morgen werde ich meine Kräfte wieder gut sortiert und gebündelt haben. Und eine frischere Farbe wird es auch geben!
Nr.9
Sehr kräftig sind die Farben noch nicht, doch sie tauchen
an allen Ecken und Enden auf.
Es ist eben nicht ein Tag wie der andere.
Nr.10
Manchmal bilden sich aus der Farbe heraus Figuren und Flächen, ganz ohne mein Zutun. Vielleicht ist es ein Engel oder sehe ich den nur, weil ich das so sehen möchte?
Nr.11
Seit ein paar Tagen schleppe ich dieses Bild in meinem Kopf herum: Faschisten prügeln auf einen Flüchtling an der griechischen Grenze ein. Ich habe es gezeichnet, um es loszuwerden. Es hat nicht viel geholfen. Also habe ich es ausgeschnitten und auf das verworfene, meiner Meinung nach misslungene Bild der „Mut-Serie“ geklebt. Danach wollte ich das Misslungene nicht mehr verwerfen sondern hier mit einfügen.
Ich weiß, die Spielregel lautet anders, doch der Mut ist ein stark emotionales Wesen und sucht sich seine Bahn.
Und wenn ich auch sonst dieser Tage etwas mutlos bin, so reicht mein Mut doch wenigstens noch dafür aus, diese Spielregel zu missachten. Nun denke ich über Regelüberschreitungen im Allgemeinen nach. Dieses Nachdenken bringt neue Qualitäten hervor, die ich gerade gut gebrauchen kann. Somit ist meine Regelüberschreitung gerechtfertigt. Muss ich sie rechtfertigen?
Auf jeden Fall finde ich es wichtig, dass sie wahrgenommen wird.
Nr.12
(Der Mut mit einer seiner Mütter)
Bin ich überhaupt in der richtigen Reihenfolge?
Nach dem Regelverstoß von gestern möchte ich es noch einmal tun. Der Ausdruck sucht sich jetzt, nachdem er gestern die Freiheit des Regelverstoßes gekostet hat, eigene, neue Wege und trumpft hier mit der Behauptung auf:
Der Mut hat viele Mütter!
Nr.13
Zeit zum Aussäen und Pflanzen! Nach der Dunkelheit kommt nun die Phase des Keimens. Reicht auch jetzt mit dem Schwarz (siehe gestern)
Heute Vormittag habe ich Tomaten ausgesät und auf der Fensterbank Platz für sie geschaffen. Am Nachmittag werde ich mal sehen, was im Garten alles schon wächst. Ja, und zwischendurch habe ich dieses Mut-Bild gemacht- ist doch schön, wie sich das Grün ausbreitet!
Nr.14
Die Grünkraft von gestern wirkt weiter. Heute laufe ich in die Felder, sammle die ersten Brennnesseln, zerstampfe diese und mische den Saft mit etwas Aquarellfarbe „Zitronengelb“ und bedanke mich im Stillen bei Hildegard von Bingen für ihre Preisung der Lebenskräfte, der viridatas:
.....den ganzen Erdkreis umfliege ich mit meinen oberen Flügeln.
Ich habe alles in Weisheit geordnet. Ich bin das feurige Leben, die göttliche Substanz. Ich brenne über der Schönheit von Fluren und Auen. Ich glitzere über den Gewässern und brenne in Sonne, Mond und Sternen. Mit jedem Atemzug, wie mit unsichtbarem Leben, wecke ich alles Leben.
Die Luft lebt im Grünen und Blühen.
Lebendig fließen die Gewässer.
Lebendig ist der Sonnenstrahl...." H.v.Bingen
Nr.15
verloren im Nebel
Nr.16
Mir ist eine Idee gekommen, wo ich den Mut am besten verschenken kann. Es ist eine relativ zentrale Stelle in der Innenstadt. Nun wird es Zeit, Mut auch in anderen Sprachen zu schreiben. Ich überlege, wer alles in der Innenstadt lebt und fange heute mal mit türkisch an.
Nr.17
…und heute auf Russisch.
In der Übersetzung finde ich:
Mut, Sinn, Geist, Stimmung, Atem, Atmosphäre.
Wie schön!
Nr.18
Diese Begriffserweiterung von gestern hat mich inspiriert, es nochmal mit den kyrillischen Buschstaben aufzunehmen.
Nr.19
Mein Vorrat an kleinen Mut-Karten bis heute. Außerdem die 19 in DIN A4, wie oben beschrieben. Ich werde beide Formate brauchen.
Nr.20
Mut kommt aus dem Herzen, aus dem eigenen und aus den Herzen derer, die uns Ermutigung schenken. Ich freue mich darauf, alle Bilder zu verschenken. Mir selbst mache ich ein Geschenk, indem ich sie male. Sebastian, deine Aktion kam wirklich gerade zum rechten Zeitpunkt!
Nr.21
Ein paar Tage lang überlege ich bereits, wie ich ein paar Mut-Bilder mit arabischer Schrift realisieren könnte. Meine Lösung ist das Kopieren von originaler Schrift. Etwas anderes ist mir nicht eingefallen, denn an diese (für mich) so fremdartige und schwierige Schreibkunst wage ich mich nicht heran. Mit dieser Arbeitsweise kam auch die Fragestellung nach dem Regelbruch wieder an die Oberfläche. Wahrscheinlich ist die Frage im Moment virulent. Jeden Tag habe ich abzuwägen zwischen dem verordneten Mindestabstand zwischen einzelnen Personen und einer menschengemäßen Betreuung alter Menschen. Manche sind schwerhörig und hören nur etwas, wenn ich laut dicht am Ohr spreche. Andere sehen schlecht. Andere sehen und hören schlecht. Dann gibt es noch Menschen mit Demenz. Es gibt viele, die traurig sind, weil sie keinen Besuch bekommen. Es gibt einige, die nicht verstehen, dass kein Besuch kommt. Der Tisch in ihrem kleinen Zimmer wird trotzdem mit den schönen Sammeltassen gedeckt. Wenn ich die Regeln einhalte, stehen die Roll- und anderen Stühle in 2 Metern Abstand auf der Sonnenterrasse. Dann gibt es keine Ansteckungsgefahr, allerdings auch keine Möglichkeiten zur Kommunikation. Also muss ich ständig Kompromisse finden.
Was ich nur sagen wollte, es war mir wichtig, auch arabisch-sprachige Mutbilder in meiner Serie zu haben
Wörtlich heißt das: لا تستسلم أبداً (la tastaslim ’abadan)
"Gib nicht auf". Danke an arabacgenie!
Nr.22
Mut auf Italienisch darf natürlich auch nicht fehlen.
Nr.23-24
Heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit leuchtete mir in einem Fenster in der Nachbarschaft ein großer Regenbogen entgegen. Das Mädchen, das dort wohnt, hat ihn gemalt und ins Fenster gehängt. Ich war sehr gerührt, denn meine Stimmung war gerade nicht besonders hell. Nein, gerührt ist wohl nicht der richtige Ausdruck: Die Farben knallte mir direkt in Herz und Hirn und meine Energie war wieder da. Meine Aufgabe an der Arbeit ist Soziale Betreuung, in Zeiten von Corona und Stay Home ziemlich herausfordernd.
Heute wollte ich den Menschen, die ich besuchen würde, das geben, was eine Begegnung wirklich wertvoll macht, nämlich Berührung und Bewegung. Ob und wie die 1,5-2 Meter Sicherheitsabstand in diesen Plan passen werden, würde ich dann schon sehen.
Am Abend konnte ich dann zurückschauen auf gemeinsames Mit-Summen eines Elvis-Presley-Songs im Radio und gemeinsames Mit-Schwingen im Sitzen. Zum Schluss noch Hände halten-na und-es gibt doch genügend Hygienemaßnahmen, die ich auch strikt einhalte. Wenn jemand alt ist, einsam und traurig, keinen Besuch bekommt, keinen Anruf und das Zimmer nicht ohne weiteres verlassen darf und im Fernsehen und im Radio den ganzen Tag diese schlimmen Nachrichten hört, dann ist ein Händedruck ein Geschenk. Ein Geschenk, das ich nicht verwehren kann und möchte.
Nr.25
Egal ob nun mit oder ohne Regenbogen-es ist schwer, den Mut nicht zu verlieren. Ehe man es sich versieht, schwupp, ist er schon wieder weg. Und dann muss wieder neuer Mut her. Ich habe es versucht mit Regenbogen malen (ist mir nicht gut gelungen) und Rosen schneiden (ist mir gelungen, doch Blut ist geflossen und nun muss ich mich um meine Wunden kümmern).
Nr. 26
Nun ist auch noch die Wachsmalkreide verschwunden und ich habe nur noch einen äußerst harten Wachsblock. Am liebsten würde ich damit wild auf dem Papier kritzeln, doch ich halte dann doch noch ein, weil mir das doch zu anstrengend ist. So ist der WANKELMUT entstanden.
Nr. 27
Vor ein paar Tagen befand ich
michin einer Regenbogenphase
(23-24), die ist nun zu Ende.
Doch anstatt am Ende des
Regenbogens einen Schatz
zu finden, ist ab heute Kontakt zu den Bewohnern nur noch mit Mundschutz erlaubt. Mein Blatt bleibt heute weiß.
Nr.28
„Leise zieht durch mein Gemüt…seltsames Geläute“, diese Worte gingen mir heute durch den Sinn, als ich Papier für das nächste Bild hervorholte und mein Blick nach dem Schweifen über die Farben am Schwarz hängenblieb. Gestern weiß, heute also schwarz. Ich benutze Pflanzenfarben, die sind angenehmer als synthetische. Seltsam- doch eigentlich wenig erstaunlich, wie sich dieses Ritual bereits ganz natürlich und geschmeidig in meinen Lebensrhythmus eingepasst hat.
Nr.29
So kann es nicht weitergehen; ich beschließe: Mehr Farbe, mehr Mut…
Die nächste Runde wird anders aussehen!
Gestern schrieb ich, dieses Ritual, täglich ein oder mehrere Mutbilder zu malen, hätte sich schon in mein Leben eingepasst. Warum auch nicht nach der Passionszeit jeden Tag ein Bild? Über passende Formate und Themen denke ich gerade nach. Das Schwarz und Grau von gestern möchte ich nicht wiederholen, denn eigentlich geht es ja in erster Linie darum, Mut zu teilen, Mut zu machen, Mut zu schenken. Erst in zweiter Linie sollte es darum gehen, eigene Befindlichkeiten zu präsentieren.
Die sind ja sowieso schon im jeweiligen Bild erkennbar.
Heute habe ich jedenfalls, um die Stückzahl in die Höhe zu treiben, die Drucktechnik gewählt. Mit der Zuwachsrate bin ich zufrieden. Nun muss ich noch an einem sinnvollen Verteilungsplan feilen, dann geht es los! Wir brauchen im Moment viel Mut.
Gott sei Dank, gehört Mut zu den Dingen, die sich vermehren, je mehr man sie teilt.
Nr. 30
Eine kleine Abschweifung ist sicher erlaubt. Eine neue Vorschrift an der Arbeit schreibt vor, dass ich Mundschutz tragen muss.
Doch auch selbst genähte Modelle sind erlaubt. Meine sind aus Leinen und Baumwolle und ich kann nun den Menschen noch besser Mut zusprechen.
Meinen Vorrat an Masken
für die Arbeit habe ich in
eine leere Taschentücherbox
gesteckt und freue mich
über die doppelte Verwendung.
Nr.31
Endspurt.
In den letzten Tagen habe ich mich zu Abschweifungen hinreißen lassen und bin ich mit der Reihenfolge durcheinandergekommen. Ich frage mich, wohin mich die Dynamik dieses Spiels gebracht hat? Nun habe ich also Masken mit dem Mut-Logo und jede Menge Mut-Karten, die ich verschenke. Tag für Tag habe ich gespürt, wie mein Mut etwas wächst, wenn ich ihn teile.
Nun frage ich mich, warum ich so hohe Stückzahlen brauche und ich erkenne: Mut wächst zwar mit der richtigen Hege und Pflege ganz gut, doch kann er ebenso gut über Nacht, wieder völlig zusammenschrumpfen! Deswegen habe ich jetzt nochmal richtig losgelegt und mehrere Bilder an pro Tag produziert.
Nr.32
In der nächsten Runde habe ich dem Wort „Mut“ einen Hintergrund gegeben. Ist es nicht so, dass Mut sowieso auch einen soliden, nahrhaften Boden braucht? Und Regen. Oder wächst er allein aus der Hoffnung. Ich gehe in den Garten, um darüber nachzudenken.
Zu Ostern endet die Aktion „Mut in Farbe“ Vierzig Bilder und vierzig Karten sind entstanden, die meisten davon sind nun an der Litfaßsäule (diese Ausstellungsfläche hat sich ja bereits bewährt) gegenüber der Christuskirche in der Lindenstraße zu sehen. In der Kirche gibt es einen Ständer, darauf liegen einige bunte Kärtchen, also Mut zum Mitnehmen. Mögen die bunten Bilder den Passanten Freude und Mut machen. Neben der Litfaßsäule hat ein lieber Mensch einen großen, bunten Ostergruß aufgestellt. Ich find’s schön, bin zufrieden und danke allen, die mich in den letzten 40 Tagen mit ihren Mut-Bildern und Texten erfreut und bereichert haben. Es war schön, bei dieser Aktion von Sebastian Schmid dabei zu sein, es wurde sogar im Radio darüber berichtet.
Gestern habe ich ja noch einmal einen ganzen Stapel Karten gedruckt und habe somit noch einen guten Vorrat zur Verteilung DANACH. Ich würde sie dann im Vierer-Set (eine für einen selbst und drei zum Verschenken) abgeben. Die Einnahmen werden gespendet.
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Nicole Richter (Dienstag, 24 März 2020 04:27)
Liebe Martina, in dieser Ausnahmesituation, in der die Welt, wie wir sie kennen eine Pause macht, in der Grenzschließungen dazu führen, dass mein Mann nicht einreisen kann und mein Chef mich krank macht, in dieser Zeit, die ich - obwohl es mir augenscheinlich nicht an existenziellen Dingen fehlt - als emotional en Ausnahmezustand empfinde, kam dein Hinweis zu Mut zu Farbe. Ich habe den Eintrag gelesen und möchte mich bedanken, dass du mich mit auf den Weg des Mutes genommen hast. Das macht mir Mut. Und es macht mich neugierig, denn ich hoffe, dass ich den Baum in der Innenstadt entdecke, ich würde mir ein bisschen Mut gerne abpflücken und mit nach Hause nehmen. �Nicole