Sehr geehrter Herr Wingenfeld,
gerne nehme ich ihre Aufforderung an, Ihnen Anregungen zu Ihrer geplanten Wahlkampftour zu schicken. Die Stadtteile zu erwandern, ist eine sehr nette Idee von Ihnen, weil man zu Fuß ja ganz andere Begegnungen erfährt als beim Vorfahren mit dem Dienstwagen. Andererseits werden die Begegnungen wohl eher dem Zufall überlassen und unter dem Diktat der bestehenden Kontaktregeln zusammenschrumpfen. Irgendetwas an dieser Meldung hat mich sehr zum Widerspruch gereizt, vielleicht wegen der von vornherein einseitig angelegten Kommunikation:
Ich kann meinem OB schreiben. Ich kann ihm sagen, wo der „Schuh drückt“. In meinem Stadtteil. Er kümmert sich dann um das Problem. Meine innere, für Widerspruch zuständige Stimme meldet sich sofort und fragt zurück:
“ Wieso nur der Stadtteil, in dem ich wohne?" Also ja, da gibt es einiges. Doch gleichzeitig fühle ich mich aufgefordert, mich zur Kommunalpolitik in Fulda ganz allgemein zu äußern.
Vielleicht wird das sowieso zu wenig getan, jedenfalls frei und öffentlich?
Kritische Meinungsäußerung steht ja nicht im Widerspruch zum grundsätzlichen Vertrauen und zur Anerkennung. Und das möchte ich Ihnen klar und uneingeschränkt sagen:
Meiner Meinung nach haben Sie bisher ausgezeichnete Arbeit für die Stadt Fulda geleistet und ich finde es sehr gut, dass Sie unser OB sind. Verstehen Sie bitte meinen Widerspruch, meine Kritik, als Gegenwind. Eine wichtige und nützliche Funktion hat der Gegenwind: er kann die Hürden erkennbar machen, die es noch zu überwinden gilt. Hürden, die im Falle eines sanften Schwebens infolge thermischen Auftriebs niemals zu spüren wären. Wenn der Wind jedoch direkt ins Gesicht bläst, dann weiß ich, woher er weht. Dann kann ich die Laufrichtung ändern oder sonst irgendetwas tun, nur, weil ich spüre, da ist etwas. Und mit der Wahrnehmung, mit dem Bewusstsein beginnt alles, denn das Denken bestimmt das Handeln.
Wie schon gesagt, möchte ich Ihnen mitteilen, was ich als Anregungen für Sie vorgesehen habe, deshalb fange ich mit dem an, was ich in Fulda vermisse. Dazu muss ich noch ein klein wenig ausholen:
Der Hauch über den Dingen ist das beste, schrieb ich vor einiger Zeit in meinem Blog. Der Hauch-was für eine schöne Bezeichnung hat sich Christian Morgenstern einst erdacht, um zu beschreiben, die wir heute allgemein mit Geist übersetzen würden. Ich vermute, dass heutzutage viele Menschen damit nichts weiter als Spukgestalten zu Halloween verbinden können.
Dabei ist ein Geist, der an einem bestimmten Ort weht, an vielen Stellen spürbar und sichtbar. Auf Neudeutsch würde solch ein Geist vielleicht „Alleinstellungsmerkmal“ heißen, der in einem „Leitbild“ festgehalten wird. Ich bleibe lieber bei dem Begriff „Geist“, weil dieser für mich geistige Reife, Besonnenheit, Weitsicht und Weisheit beinhaltet. Solange also ein derartiger Geist nur irgendwo festgehalten wird, ist er natürlich nicht spürbar, lediglich lesbar in geduldigen Papieren und hörbar in diversen Lippenbekenntnissen.
Wird der Geist lebendig, ist sein Wirken erkennbar an vielen Stellen.
Fehlt der Geist, ist er verkümmert oder noch nicht ausreichend entwickelt, wird sein Fehlen erkennbar, zum Beispiel in einer unzureichenden Sensibilität gegenüber Bäumen, Stadtgrün, Natur, Klimawandel.
Ich nehme andere Dinge wahr als Sie, und dennoch sind diese unterschiedlichen Sichtweisen existent. Meine Wahrnehmung wird bspw. beeinflusst vom Aufenthalt in anderen Städten, so wie jüngst in Mühlhausen/
Thüringen. Die alte Stadtmauer ist auf einem Wall gebaut und heute wieder begehbar. Dieser Weg führt auch durch eine Lindenallee, und was für eine: Hier stehen alte knorrige, Linden, innen hohl.
Aus einigen sogenannten „toten“ Bäumen schauen liebliche geschnitzte Gesichter hervor.
Neupflanzungen gibt es auch, es stehen also verschiedene Generationen in harmonischer Linie vereint. Niemand ist auf die Idee gekommen, die Bäume zu fällen, nur weil sie alt, krank oder tot sind. Und das ist gut so, denn an kaum einem Ort wird jeder einzelne Baum so oft bewundert, bestaunt, ehrfürchtig befühlt, fotografiert, hineingeklettert oder mit zauberhaften Schnitzereien geschmückt und gewürdigt. Hier herrscht offenbar ein Geist, der Altes ehrt und achtet, die Wunder der Natur unbedingt bewahren möchte und auf herkömmliche Schönheitsideale (jung, stark, schön, gleichförmig) pfeift.
Was für ein Geist in Fulda herrscht, ist für mich an vielen Stellen spürbar,er unterscheidet sich nicht vom vorherrschenden aktuellen Zeitgeist.
In Zeiten, in denen Wälder asphaltiert werden für Autos,
ist da noch viel zu erwarten?
In Fulda? Vielleicht sind meine Erwartungen zu hochgesteckt? Ich finde es nicht richtig, bestimmten Sachzwängen den Vorrang zu geben und eine ganze Allee, wie in Bronzell, abzuholzen, nur weil es gerade Fördermittel für diese Maßnahme gibt. Wie unabdingbare Opfergaben werden die gefällten Bäume präsentiert, um das Ziel, „Sternenstadt“ zu erreichen. Schade. Mich ärgern solche faulen Kompromisse.
Sie zeigen, wessen Geistes Kind die Entscheidungsträger sind, auch wenn sie sich noch so sehr winden und bekunden, wie schwer es ihnen ums Herz werde.
Ich meine, wenn ich in Zeiten des Waldsterbens keine Bäume fällen möchte, dann tue ich es eben nicht sondern lasse die Bäume denen, die darin wohnen. Das ist ganz einfach eine Sache der Prioritäten.
Diese Sichtweise fehlt hier einfach, entgegen anders lautender Bekenntnisse zum Klimaschutz. Jüngstes Beispiel war der Bericht über die zu fällenden Bäume im Stadtpark. Diese könnten ebenso gut gestutzt werden, dafür gibt es ausgezeichnete Spezialfirmen. Die Bäume könnten erhalten werden, die anderen, historisch wertvollen, bekämen genug Licht. Ich finde die Sprache sagt viel über die Art, zu denken:
Die Bedrängerbäume! So ein Wort muss einem erst mal einfallen!
Wenn Bäume denken könnten, würden sie sich von den "Bedrängerbeamten" sicher bedroht fühlen. Noch ahnen sie jedoch nichts davon, dass sie als Sauerstoff- und Schattenspender nicht mehr gefragt sind. Traurig, wo doch sowieso viele Bäume leiden oder schon eingegangen sind und die Auswirkungen des Klimawandels eigentlich den Weg dahin weisen, Bäume zu pflanzen- und, wenn schon so schöne alte Bäume vorhanden sind, die zu erhalten und zu hegen und pflegen. Ach, es ist traurig. Was ich davon halte, habe ich schon beschrieben in "Träum weiter, kleiner Fuchs".
Solche Meldungen sind einfach entmutigend. Sie zeigen mir, wie klein und bedeutungslos mein eigenes Engagement ist: Was sind denn schon unsere Handvoll Bäume, die wir in unserer AG Bäume pflanzen- angesichts der Anzahl Bäume, die durch unsere Politiker im großen Stil gefällt werden?
Für mich persönlich ist es besonders traurig, dass der Anblick alter Bäume immer mehr aus dem Stadtbild verschwindet. (bis auf die wenigen Ausnahmen der Naturdenkmäler, die man aber suchen muss). Hier wird ein Aspekt des Naturerlebens einfach fallengelassen, der in Mühlhausen möglich ist, in Fulda leider nicht. Hier herrscht ein anderer Geist.
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