vergangene "NovemberArtikel":
Wie sind Jenseite und Diesseits verbunden?
Von Zeit zu Zeit besuche ich den alten Friedhof in Eisenach. Dieser Ort war bereits ein besonderer Ort für mich, als ich jung war ganz nah der Stadt: und dennoch entrückt.
Ganz in der Nähe ist der Pfad von der Wartburg in den westlichen Teil der Stadt, den die Landgräfin Elisabeth immer gegangen ist, um den Armen und Kranken Essen zu bringen. Eine Gedenktafel aus Sandstein für die Musikerfamilie Bach, das Grab von Dorothea Grimm und eine Kunstausstellung mit dem Titel „Weltenwechsel“ nehmen heute meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Über den Begriff „Weltenwechsel“ nachzudenken, lohnt sich sicher, doch ich lasse mich lieber unter einem der großen alten Bäume nieder und lausche in die Stille hinein. Ein Friedhofsspaziergang weckt Erinnerungen an Verstorbene, das kann tröstlich oder traurig sein.
Meine Vorstellung vom Tod beinhaltet immer den Gedanken, dass die menschliche Seele ein uns unbekanntes Stadium einer fortwährenden Entwicklung erreicht, nachdem sie den Körper verlassen hat. Dieser Gedanke ist tröstlich und bildet einen tragenden Pfeiler meiner Vorstellung von Seelenverwandtschaft, in der Raum und Zeit keine Rolle spielen und Verbindungen zwischen uns Lebenden und unseren Ahnen existieren.
Der Aspekt der Trauer um Verstorbene findet in derartigen Denkspielen keinerlei Beachtung. Dummerweise wiegt die Trauer jedoch am schwersten, wenn es um das Thema Tod geht, oder nicht? Zum Glück gibt es im Leben unterschiedliche Phasen: mal spielt der Tod nur eine ferne Nebenrolle, die einen selbst nicht betrifft, ein andermal trifft einen der Schmerz angesichts des Todes, der Vergänglichkeit, ja auch der dem Menschen innewohnenden Destruktivität mit voller Wucht. Dabei reicht es schon vollkommen aus, wenn nur ein einzelner, geliebter Mensch stirbt, um in tiefe Trauer zu fallen. Trauer ist wichtig und-eben auch unvermeidlich, zeichnet sie uns doch als Menschen aus. Denn was wären wir ohne Trauer und Mitgefühl?
Einer der Verstorbenen des vergangenen Jahres ist Christoph Riemer. Er starb am 1.Dezember 2022.
Der Verlust in seiner vollen, gewaltigen Größe wurde mir mit einem Schlag bewusst.(siehe:playing arts)
Ich las den Nachruf und es war seltsam: Als Christoph noch lebte, habe ich auch schon darüber gestaunt, auf wie viele Menschenleben durch seinen Einfluss bereichert wurden. Segensreich erschien mir all sein Tun. Als Mensch, als Künstler, als Playing Artist, als Bildungsreferent. Als ich von seinem Tod erfuhr, überflutete mich ein plötzlicher Schwall Trauer, ja auch Wut. Was, das soll jetzt alles vorbei sein?
In den nächsten Tagen hielt ich inne, schaute mich um, spürte den Veränderungen nach, die er in mein Leben gebracht hat. Spurensuche ganz einfach, auf meinem Schreibtisch noch die Resonanz des letzten Sommerateliers, im Regal nebenan ein paar seiner Bücher, die Masken sowieso. Doch sein Einfluss geht weit über die sichtbaren, materiellen Spuren hinaus und wirkt in meiner Arbeit fort und fort. Ein wertvolles Vermächtnis breitete sich vor meinen Augen aus. Bedeutung, Umgang und Spiel mit Resonanzen hat mich Christoph gelehrt. Aus dem, was ich gelernt habe, habe ich längst eigene Konzepte entwickelt.
Ohne seine freundliche Einladung zur Abschlusspräsentation des Sommerateliers im August 2022 Imshausen hätte ich diese Resonanz nicht verspürt und niedergeschrieben:
Traumbuch
Im grünen Himmelsdom
Buchseiten vom Wind liebkost
Das Plätschern des Baches
Atem und Herzschlag
Ewige Metamorphose
Auf der Wiese wurde ihr Bild getanzt
Mut! Und Zuversicht!
Noch steht der Turm
und der Blick über das blaue Wasser
verheißt Hoffnung
Warum auch nicht?
Ist die Hingabe an das Zarte nicht grenzenlos?
Der Sturm kann uns nichts anhaben,
solange wir zusammen
stehn.
Was immer ich im Leben tue, denke, bin, ich bin es durch andere und füge meinen kleinen bescheidenen Anteil dazu.
So, ist es wirklich vorbei? Nein, natürlich nicht.
Die Traurigkeit bleibt trotzdem. Ich trage sie mit mir herum, wie ein unsichtbarer Beutel hängt sie mir am Rücken. Manchmal schnüren mich die Bänder, manchmal drückt sein Gewicht. Dann nehme ich ihn andersherum und trage ihn vorne, am Herzen. Dann wird mein Schritt langsamer, freier und näher ist mein Geist bei dem Menschen, den ich vermisse. In dieser Haltung kann ich den Beutel in die Arme nehmen und so seltsam es klingt: Je fester ich ihn halte, desto leichter wird er und die Traurigkeit verflüchtigt sich. Es dauert, bis mir die Wandlung ins Bewusstsein dringt und sich der davonschwebenden Trauer andere, neue Empfindungen einstellen. „Die wesentlichen Dinge kann man nicht machen, sondern nur empfangen“, das kommt mir in den Sinn, als ich den Engel am Grab von Dorothea Grimm betrachte.Das ist, wie ich finde, ein schönes Abschlußwort für meinen diesjährigen Friedhofspaziergang.
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